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Die Jugend und ihr Aufsichtsrat

16.12.1996
Eine merkwürdige Allianz aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung bestimmt die Aktivitäten von Jugend Aktiv e.V.. Die Jugendlichen selber bleiben passiv und unorganisiert.

"Ich weiß nicht, ob ich Ihnen da etwas zu sagen darf." So und ähnlich klangs aus aller Munde, egal ob ich im öffentlichen Haushalt der Stadt Biberach den Posten 4600 "Förderung der Jugendhilfe" einsehen wollte oder den Finanzplan des gemeinnützigen "öffentlich anerkannten Trägers der freien Jugendhilfe", Jugend Aktiv e.V..
Immer war der Chef zuständig und der war grad nicht da.

Ob auf dem Kämmereiamt, im Jugendtreff oder im Büro in der Ehinger Straße, die untergeordneten Stellen übten sich in Abwiegelung, als sei die Biberacher Jugendarbeit ein Firmengeheimnis. Dabei war erst in den letzten Jahren die städtische Jugendpflege im Gemeinderat ausführlich diskutiert und weitgehend umstrukturiert worden. Wichtige Funktionen, so den Betrieb des Jugendtreffs Viehmarktstrasse und des Hauses Ehinger Str. 19, hat die öffentliche Hand an den Jugend Aktiv e.V. abgegeben und so den "freien Träger" zur Zentrale der öffentlichen Jugendarbeit in Biberach ausgebaut. Ohne J-Akt geht kaum etwas, gegen J-Akt geht gar nichts mehr.
Laut Satzung hat Jugend Aktiv vor allem die Aufgabe, "soziale Integration zu fördern" und leistet dazu "sozialpädagogische Hilfen" an bedürftige Gruppen.

Die Leute auf den zwei-einhalb Sozialarbeiterstellen, unterstützt von Praktikanten und einem ZDL, haben zu tun: Außer dem Management der zwei Häuser unterstützen sie Jugendcliquen, die sich wegen z.B. Räumen oder Buden an J-Akt wenden, führen mit Jugendlichen verschiedenster Herkunft Projekte durch und laufen nachts als Streetworker Streife auf der Suche nach noch unentdeckten Jugendgangs. Nebenher müssen sie noch Leute beaufsichtigen, die zu Arbeitsstunden verurteilt oder mit Schulausschluß bestraft worden sind.
Darauf angesprochen, daß sie sich mit so einer sozialpädagogischen Vorgehensweise doch recht weit vom ursprünglichen Ziel der Jugendbewegung, selbstbestimmte Räume zu schaffen, entfernt haben, geben sie den schwarzen Peter an die Jugendlichen weiter: deren mangelnde Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und die Tendenz, sich in immer kleineren Grüppchen zu organisieren, machten professionell betreute Angebote notwendig.

Bankdirektor als Kassenwart

Neben dieser gewissermaßen zur Straße hin offenen Seite besitzt J-Akt noch eine zweite, sozusagen politische Etage mit Verbindungen in Politik, Wirtschaft und Verwaltung, nämlich den Vorstand. Die Gemeinderäte Frau Leuchten und Herr Bassarab sind die Vorsitzende und ihr erster Stellvertreter, der zweite Stellvertretende, Herr Weil, leitet mit den Dornahof eine traditionsreiche Sozialeinrichtung. Für die Finanzen sorgt der Chef der Biberacher Niederlassung der Deutschen Bank, Herr Paller, und Schriftführer ist der Leiter der Biberacher Kriminalpolizei, Herr Keller. Der Geschäftsführer von Jugend Aktiv, Herr Brödenfeld, nimmt an den Vorstandsitzungen teil, ebenfalls - ohne Stimmrecht - der Biberacher Kulturdezernent Biege und der Leiter des Jugendamtes Bleicher.
Eine schon fast regierungsfähiges Team, das sich da etwa einmal im Monat trifft, um "Lobbyarbeit für die Jugend" zu verabreden, das heißt Gelder für Projekte und Personal der Jugend(sozial)arbeit zu organisieren. Denn beides ist knapp.

"Für eine umfassende, das heißt die ganze Jugend einbeziehende Jugendarbeit wird in der Zukunft das Geld fehlen" weiß Herr Keller, um so wichtiger sei ein genaues "Justieren der Zielgruppen". Dabei gehe es natürlich auch um Kriminalitätsvorbeugung.
Für Frau Leuchten definieren sich die Zielgruppen selber, nämlich durch "Auffälligkeit". Gegen die Norm zu sein gehöre ja zur Jugend, aber wenn sich derart Gleichgesinnte zu Gruppen zusammentun, "das ist ein Indiz zum Tätigwerden."

Zur genaueren Ausarbeitung einer Strategie für die Zukunft wird sich der Jugend Aktiv Vorstand im März 1997 in Klausur begeben. Am Ziel der sozialen Integration wird sicherlich festgehalten werden, eine Frage sollte jedoch sein, in welcher Weise Bedürfnisse und Interessen Jugendlicher hier mit einbezogen werden. Sonst kann Integration schnell zur Anpassung werden und die Jugendhilfe Gefahr laufen, eine leckmichamArsch-Haltung des unauffälligen Dagegenseins fördern, die lange Jahre kennzeichnend für das gesellschaftliche Klima in der DDR gewesen ist.