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Die Polizei in der Sackgasse

24.05.2002
Gewöhnlicherweise gibt es zu einer Straftat ein Gesetz, einen Täter und mindestens ein Opfer. Es kommt aber vor, daß der Gesetzgeber ein Gesetz erlässt, um von seinen Untertanen die Befolgung bestimmter moralischer Verhaltensweisen zu erzwingen, und so "opferlose" Verbrechen erzeugt.
Die Folgen solch übermäßiger Ausdehnung des Strafrechts seien anhand des Betäubungsmittelrechts erläutert.

Mit dem Betäubungsmittelgesetz von 1972, das 1981 nochmals verschärft wurde, hat der Gesetzgeber der Polizei das vermutlich unlösbare Problem aufgegeben, dafür zu sorgen, daß die Jugend keine Drogen nehme außer den erlaubten.
Diese Aufgabe unterscheidet sich von gewöhnlicher Strafverfolgung durch das fast völlige Fehlen von Anzeigen. Während im Falle eines Diebstahls, einer Sachbeschädigung oder einer Körperverletzung beispielsweise ein Geschädigter die Polizei zu Hilfe ruft, müssen Drogis, Käufer wie Verkäufer, mit aufwendigen, gar nachrichtendienstlichen Methoden erst aufgespürt werden.
Das führt einerseits zu einer absurd hohen Dunkelziffer unerkannter Drogenvergehen. In einem Beitrag zum Drogenbericht des damaligen Biberacher Jugendpflegers spricht die Polizei schon 1982 von einer Dunkelziffer von 1:200 bis 1:1000 bei Cannabisprodukten. Andererseits hat die Polizei bei den wenigen, aus eigener Initiative ermittelten oder gar angestifteten, Drogenvergehen in der Regel genügend Beweismittel zur Hand, um den Fall abzuschließen. So entsteht in der Kriminalstatistik eine Aufklärungsquote von über 90 % bei Drogendelikten.

Legalitätsprinzip
Die Polizei ist als Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft grundsätzlich zum Einschreiten verpflichtet, wenn für eine verfolgbare Straftat "zureichende tatsächliche" Anhaltspunkte vorhanden sind. Verfolgt ein Kriminalbeamter eine ihm zur Kenntnis gekommene Straftat nicht, so setzt er sich dem Vorwurf der "Strafvereitelung im Amt" aus.

Opportunitätsprinzip
Unter diesen Begriff fallen die Ausnahmen vom Legalitätsprinzip. Grundsätzlich steht dies nur der Staatsanwaltschaft zu, sie kann die Ermittlungen einstellen.

Fahndung hilft nicht
Mit dieser Kombination aus hoher Dunkelziffer und prima Aufklärungsquote bergründete die Fahndungsbürokratie über Jahre hinweg immer neue Forderungen nach Geld, Personal und erweiterten gesetzlichen Befugnissen. Sie bekam aus öffentlichen Geldern bezahlte Spitzel - amtsdeutsch "V-Personen", spezielle Observationseinheiten "MEK", verdeckte Ermittler, Telefonüberwachung, Lauschangriff. Jeder dieser Schritte entfernte die Drogenpolizei weiter von dem für eine demokratische Polizei grundlegenden Legalitätsprinzip.
Anstelle der erwarteten Erfolge zeigten sich jedoch gravierende Nebenwirkungen:
  • ein enormer Personalverschleiß kennzeichnet die Rauschgiftdezernate. Es sind sogar Fälle bekannt, Biberachern sei der Fall "Max Hösle" (Wochenblatt-Synonym) in Erinnerung gerufen, in denen ehemalige Rauschgiftkommissare in den Drogenhandel einstiegen.
  • Die Furcht vor der Polizei führt in Kreisen von Drogenbenutzern zu einer deutlich verringerten Anzeigebereitschft, was wiederum die Bildung einer kriminellen Subkultur begünstigt.
Um in einer solchen Szene zielgerichtet zu ermitteln, wurde es von der Polizeiführung als notwendig angesehen, nicht nur das Legalitätsprinzip zu verlassen, sondern schließlich auch selbst an verbotenen Handlungen teilzunehmen.
"Die Polizei muß selbst in den Untergrund gehen" schrieb der Baden-Württembergische Polizeipräsident Stümper 1982 in der Zeitschrift "Die Polizei".
Vorbeugen hilft auch nicht
Mit den Kanonen, die da aufgefahren wurden, auf kleine Kifferlein zu schießen, erwies sich schnell als ineffizient. Solange aber der Markt der Endverbraucher bestehen bleibt, findet sich bald ein Nachfolger für jeden aus dem Verkehr gezogenen Drogendealer.
Die Polizei begann daher schon früh mit Versuchen, Jugendliche mittels sogenannter Aufklärung vom Drogenkonsum abzuhalten. In ihren Anfängen war diese "Drogenprävention" noch ziemlich handgestrickt: Drogenpolizisten besuchten Schulklassen, ließen dort mehr oder weniger verpackte Haschkrümel herumgehen (!), und erzählten dazu von den Schrecknissen des Rauschgiftkonsums.
Die Ergebnisse entmutigten keineswegs, man schloss vielmehr aus dem offensichtlichen Ausbleiben von Erfolgen auf einen enormen Professionalisierungsbedarf. In der Folge wurden massenweise polizeiliche "Informationsbroschüren", Filme und Lehrmittel verteilt, Keine-Macht-den-Drogen-T-shirts wurden erfunden und "Anti-Drogen-Discos" durchgefhrt. Es half alles nichts.
Gemessen an der ursprünglichen Absicht, den Gebrauch "illegaler" Rauschmittel zu unterbinden, lässt sich ein kompletter Mißerfolg der angewandten Mittel feststellen. Die Jugend zu Beginn des dritten Jahrtausends kifft nicht nur mindestens genausoviel wie die vor 20 oder 30 Jahren, sie konsumiert mit ähnlich großer Begeisterung auch die neu hinzugekommenen Techno-Drogen.

Medizinische Institutionen hatten mit Drogentherapien vergleichsweise größeren Erfolg, auch Drogenberatungsstellen und Sozialarbeiter konnten wenigstens in Einzelfällen Hilfe leisten.

Prävention
Kriminologen unterscheiden drei Arten der Prävention:
  • primäre Prävention soll das soziale Umfeld, Familie, Schule, Arbeitswelt und auch die Freizeitangebote kriminalitätsmindernd beeinflussen.
  • sekundäre Prävention hat den Zweck, Kriminalität mit technischen Mitteln zu erschweren, Straßenbeleuchtung, Sicherheitsschlösser, Alarmanlagen etc. Ist die webcam eigentlich sekundäre Prävention ?
  • tertiäre Prävention meint Rückfallbekämpfung und Wiedereingliederung von Verurteilten in die Gesellschaft.
Neue Gelder braucht das Amt
Parallell zur polizeilichen Drogenbekämpfung hat sich das Geschäft mit Rauschmitteln professionalisiert. Banditen und Guerrilleros aller Art finanzieren ihre Buschkriege durch Drogenanbau, Jugendlichen aus der Unterschicht bietet die Karriere als Dealer eine der wenigen Möglichkeiten zu einem ordentlichen Einkommen, und die Polizei sichert durch Verfolgungsdruck hohe Gewinnspannen und fängt konkurrierende Amateure weg.
Die Professionalisierung des Drogenhandels dient wiederum den Polizeiführungen als Argument - Stichwort Organisierte Kriminalität - , neue Gelder, Personal, Befugnisse usw. einzufordern. Sie werden das alles bekommen und es wird am Drogengebrauch nichts ändern. Weder Repression noch Prävention wirken sich nennenswert auf Drogenangebot oder -Nachfrage aus.
Zu erwarten wäre nun eine Reaktion des Gesetzgebers. Gelegentlich profilieren sich auch Oppositionsparteien mit Vorschlägen zur Änderung des Betäubungsmittelrechts, von Seiten der jeweiligen Regierungen ist aber nur ein tatkräftiges "weiter so!" zu hören. Wie ist das zu erklären? Herrscht in der politischen Klasse ein dumpfes Gefühl der Bedrohung durch "die Droge"? Hat Fischer nie gekifft?
Oder wünscht sich etwa die herrschende Klasse eine mit undurchsichtigen Mitteln im Untergrund operierende Geheimpolizei, die auf dem Felde der Drogenbekämpfung innovative Verfahren zur Massenbespitzelung übt?
Bestimmt am Ende eine außer Kontrolle geratene Kriminalitätsverwaltung die Richtlinien der Politik? Schon wegen des Beförderungsstaus müsste diese auf stetiges Wachstum achten und könnte keinesfalls zulassen, daß eine ganze Abteilung, und noch dazu eine mit bislang schönen Zuwachsraten, auf die Abwicklungsliste kommt.
Murray Edelman, ein amerikanischer Politologe, schrieb 1990 im Vorwort zu "Politik als Ritual":
"Gesellschaftliche Probleme werden selten gelöst, zum Teil deswegen, weil jede Gegebenheit, die als Problem betrachtet wird, gleichzeitig auch einen Nutzen für - typischerweise recht mächtige - Gruppen darstellt. Arbeitslosigkeit beispielsweise hilft Arbeitgebern die Kosten der Arbeitskraft zu verrringern und eine fügsamere Belegschaft zu erhalten. .. Konservative, die durchweg höhere Militärausgaben und eine enge Definition von Bürgerrechten befürworten, behaupten, daß gerade diese Maßnahmen eine notwendige Antwort auf das Drogenproblem seien;"
Es scheint jedenfalls so, daß die an der wirkungslosen Drogenbekämpfung Beteiligten mit mangelndem Erfolg gut leben können:
  • Die Polizei schönt mittels vermehrter Drogenfahndung ihre Aufklärungsquote für die Kriminalstatistik.
  • Präventionsmaßnahmen schaffen Arbeitsplätze für Sozialarbeiter und deren Vorgesetzte und sichern öffentliche Gelder.
  • Poizeiausrüster und Geheimdienste profitieren von der Ausdehnung sogenannter "operativer" Methoden.
  • Politiker können sich durch Engagement im Kampf gegen die bösen Drogen profilieren.
Die "Drogenmafia" kann mit dem Status Quo offensichtlich auch zufrieden sein, und für den Endverbraucher ist die Chance von eins zu tausend, erwischt zu werden, kein Grund zum Zögern.
No Risk - no fun.