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Gentechnik bei Thomae

WILD 1995
Ausgehend von einer Akteneinsicht bei der Gentechnikaufsicht im Regierungspräsidium Tübingen versuchten wir 1995, den damaligen Stand der Gentechnik bei Thomae zu dokumentieren. Zuerst erschienen in WILD.
Neben der Computertechnik, der Weltraumfahrt und der Atomenergie gilt die Gentechnik als wichtige "Zukunftstechnologie", von deren weiterem Ausbau nach Meinung von Politik und Industrie unser wirtschaftliches Wohlergehen im nächsten Jahrtausend abhängig ist. Auf der anderen Seite galt die Gentechnik von Anfang an als ausgesprochen risikoreich, weil gentechnisch veränderte Organismen eventuell aus dem Labor entkommen, und in der Umwelt Schaden anrichten könnten. Gentechnische Anlagen sind deshalb in die Sicherheitstufen 1 ("kein Risiko"), 2 ("geringes"), 3 ("mäßiges") und 4 ("hohes Risiko") eingeteilt und müssen beim Regierungspräsidium angemeldet werden. In Baden-Württemberg werden die Genehmigungen ab Sicherheitstufe 2 im Staatsanzeiger in der Rubrik "öffentliche Bekanntmachungen " veröffentlicht. Noch werden mehr als drei Viertel aller gentechnischen Anlagen von universitären Einrichtungen betrieben.
Mitte der 80er Jahre begannen einige Betriebe der Pharmazeutischen Industrie, sich in der Gentechnik zu engagieren, wobei sich im Kreis Biberach ein gewisses Zentrum bildete. Neben der Firma Thomae, einer Tochter des Konzerns Boehringer-Ingelheim, zählt dazu vor allem Rentschler in Laupheim mit einer Stufe 3 Anlage. Thomae nahm 1986 das Biotechnikum in Betrieb, wo mittels gentechnisch veränderter "Zellkulturen" der Blutgerinnsel-auflösende Wirkstoff tPA hergestellt wird. TPA ist Hauptbestandteil des Medikaments Actilyse, das gegen den Herzinfarkt eingesetzt wird. Die Firma gab damals eine Hochglanz-Broschüre heraus, in der der Einstieg in die Biotechnik, wie die Arbeit mit gentechnisch veränderten Organismen bei Thomae genannt wird, gefeiert wurde. Seitdem werden dort zwar ständig neue gentechnische Anlagen, zum Beispiel für die Herstellung von Interferon gebaut, auf begleitende Öffentlichkeitsarbeit wurde aber weitgehend verzichtet. 1992 beschloß die Konzernleitung, die chemische Produktion von Biberach nach Ingelheim und Spanien zu verlagern. 1993 und 1994 wurden insgesamt 224 der rund 3000 Arbeitsplätze abgebaut. Im Dezember 93 schließlich gab das Management bekannt, daß man auch die pharmazeutische Fertigung von Biberach nach Reims und Ingelheim verlagern will, was weitere 500 bis 1000 Arbeitsplätze kosten wird. Im Gegenzug werde man über 40 Millionen DM in die "Biotechnologie" am Standort Biberach investieren.
Um herauszufinden, was Thomae seit 1986 mit Gentechnik gemacht hat, schrieben wir einen Brief an die Gentechnik-Aufsicht im Regierungspräsidium Tübingen mit der Bitte um eine Liste der gentechnischen Anlagen bei der Firma Thomae. Außerdem vereinbarten wir mit der Abteilung Öffentlichkeits-arbeit bei Thomae ein Interview zum Thema Gentechnik. Beiden Briefen haben wir öfter mal hinterhertelefoniert, um einer möglichen Schubladisierung vorzubeugen.Das Regierungspräsidium schickte letzten Herbst eine Liste von 14 Anlagen der Sicherheitstufen eins und zwei. Die Anlagen wurden im Zeitraum von 1988 bis 1993 genehmigt, und sind von recht unterschiedlicher Größe, vom einzelnen Raum bis hin zu sechs Etagen in zwei Gebäuden. Im Januar 95 wurde mit der Akte AZ 76-4/8829.02/Thomae 01.17 eine weitere Anlage der Stufe zwei genehmigt.
Für eine Akteneinsicht im Tübingen wählten wir die Akte 9, ein Stufe 2 Viruslabor aus dem Jahr 1993. Die Akte besteht praktisch aus dem von der Firma Thomae an das Regierungspräsidium Tübingen gestellten und dort genehmigten Antrag. Das Regierungspräsidium hatte die Kopie, die wir zu Gesicht bekamen, zuvor Thomae zugeschickt, wo man Betriebsgeheimnisse geschwärzt hat. Teilweise waren die Schwärzungen vom Regierungspräsidium aufgehoben, so zum Beispiel die Größe des Labors (15 m2). Dazu gab es eine ebensolche Akte über eine gentechnische Arbeit zur Immuntherapie bei Krebs. Dem Patienten werden dabei zunächst Krebszellen entnommen und mit einem Gentranferkomplex so verändert, daß sie Interleukin herstellen. Danach werden sie dem Patienten wieder appliziert. Das von ihnen produzierte Interleukin soll dann Zellen des Immunsystems anlocken und für die Krebsbekämpfung aktivieren. Diese erste Akteneinsicht war kostenlos, in Zukunft sollen aber 120 bis 130 DM Akteneinsichtsgebühr pro Stunde verlangt werden. Zur Begründung der Gebühr hieß es, wir beanspruchten immerhin eine Fachkraft, die uns die Akte vorlegt, und die koste eben 120 Mark je Arbeitsstunde. Den vergleichsweise billigen Kopierer zu benutzen, wurde freilich nicht gestattet. Außerdem erwartet man in Zukuft präzise Fragen, anhand derer dann gemäß 9 Umweltinformationsgesetz eine Akteneinsicht gestattet werden könne.
Im November führten wir dann mit den Professoren Werner und Werz, Doktor Bücheler und dem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit bei Thomae Herrn Engelberg, ein zweistündiges Gespräch. Die Benutzung eines Diktiergerätes zur Aufzeichnung des Gesprächs wurde uns leider nicht gestattet. Man zeigte sich der Presse gegenüber zunächst sehr reserviert, und verwies auf frühere Interviews, wo man gezielt mißverstanden und irreführend zitiert worden sei. Die öffentliche Kontrolle über die gentechnischen Anlagen werde vom Regierungspräsidium wahrgenommen: "Ihre Fragen haben wir alle schon mit den Wissenschaftlern vom Regierungspräsidium diskutiert, die mehrmals im Jahr hier vorbeikommen."Der Leiter der Biotechnik, Professor Werner, bestritt ausdrücklich, daß in den Stufen eins und zwei irgendwelche gentechnischen Risiken bestünden. Man arbeite in der Gentechnik besonders sorgfältig, weil die Kulturen der gentechnisch veränderten Organismen äußerst empfindlich sind, und auf keinen Fall mit "wilden" Mikroorganismen verunreinigt werden dürfen. Durch die Genmanipulation und wegen des Energieaufwandes für die Herstellung eines für die Bakterien selbst völlig sinnlosen Stoffes seien die gentechnisch veränderten Organismen so geschwächt, daß sie der Konkurrenz der Wildformen nicht standhalten können. Im übrigen gebe es keine Alternative: "Innovative Präparate gibt es momentan nur aus der Gentechnologie," so Professor Werner.Freilich bleibe das normale Medikamentenrisiko, so etwa Nebenwirkungen oder Unverträglichkeiten, auch bei gentechnisch hergestellten Arzneimitteln bestehen, fügte er hinzu. Die "besonderen Vorteile" gentechnisch hergestellter Medikamente hatte uns Thomae schriftlich so geschildert: "Handelt es sich um biotechnisch hergestellte Arzneimittel, die auch tra-ditionell auf anderem Wege gefertigt werden können (z.B. Faktor VIII ausBlutkonserven, humanes Wachstumshormon aus der Hypophyse von Leichen oder Insulin aus Rind und Schwein), so weisen die Arzneimittel auf gentechnischer Basis eine Höhere Arzneimittelsicherheit auf, da eventuelle Krankheitserreger (z.B. für Hepatitis, HIV, Jacob-Creutzfeld-Erkrankung, etc.) durch den Fertigungsprozeß ausgeschlossen sind.In vielen Fällen sind die erhofften Substanzen aber nur über die gentechnische Produktion zu erhalten. Sie kommen im menschlichen Körper nur in geringen Mengen vor (t-PA, Interferone, etc.) und sind von so komplexer Natur (hohes Molekulargewicht), daß sie auf chemischem Wege nicht synthetisiert werden könnten." Diese Argumentation bezieht sich ausschließlich auf gentechnisch hergestellte Medikamente, wobei anzumerken bleibt, daß auch dort die proteinchemische Reinigung der Wirkstoffe nicht immer gelingt. Pech hatten zum Beispiel die Konsumenten des von einem japanischen Konzerns hergestellten Wirkstoffes L-Tryptophan. Nach der Umstellung auf gentechnische Produktion waren über tausend von ihnen erkrankt und Dutzende an Symptomen gestorben, die auf unvollständige Reinigung des Wirkstoffes zurückgeführt wurden. Thomae,so Professor Werner, erhalte durch die Verwendung von zehn unterschiedlichen Reinigungsstufen den Wirkstoff in 99,9prozentiger Reinheit, der Rest sei ein Gemisch von unterschiedlichen Verunreinigungen. "Risiken bestehen in unserem Falle nicht,hatte uns Thomae auch schon schriftlich versichert.
Bei der "Immuntherapie", die uns Professor Werz erläuterte, wird der Patient nicht mit Wirkstoffen, sondern mit gentechnisch veränderten Krebszellen geimpft. Diese durch Bestrahlung teilungsunfähig gemachten Zellen entstammen dem Patienten selbst. Man wolle erreichen, daß das Immunsystem des Patienten im Blutstrom schwimmende Krebszellen erkenne und vernichte, bevor sie Metastasen bilden können. Der für die eigentliche gentechnische Operation verwendete Gentransferkomplex besteht aus einem Virus, dessen eigenes Erbmaterial chemisch zerstört wird, und auf dessen Oberfläche das Interleukin-Gen huckepack in die Zelle eingeschleust wird. Die Viren würden so vor der Verwendung absolut vermehrungsunfähig gemacht. Dies sei ein wesentlicher Vorteil gegenüber anderen Methoden der Gentherapie, die den Gentransfer mit Retroviren durchführen. Von einer am Krankenbett praktikablen Behandlungsform ist die Gentherapie jedoch noch weit entfernt. Zum einen ist das angewandte Verfahren sehr kompliziert. Zum anderen sind die ersten Erfahrungen nicht sehr ermutigend und rechtfertigen kaum die hohen Erwartungen an eine Zukunftstechnologie. So schrieb das renommierte Fachblatt Bio-Engineereing in Heft 3/1994: Eine Immuntherapie gegen Krebs hat bislang nur bei wenigen Patienten Erfolg. Sie half, einer ersten Studie zufolge, nur sieben Prozent der Kranken. Drei der insgesamt 283 Teilnehmer starben an den Nebenwirkungen." Die Untersuchung bezog sich auf die Immuntherapie bei schwarzem Hautkrebs und Nierenkrebs. Vorerst bleibt die Frage ungeklärt, ob man auf diesem Weg überhaupt zum Erfolg kommt.
Im übrigen sind gentechnisch hergestellte Medikamente verhältnismäßig teuer, und es ist noch lange nicht sicher, daß sie einen Anteil am Pharmamarkt erobern, welcher die enormen Investitionen rechtfertigt.Thomae hat sich seit Jahren auf die sogenannte "rote" Gentechnik spezialisiert, man produziert dort mit in Säugetierzellen, anstelle von Bakterien oder Hefen.Um Säugetierzellen in "Kultur" zu halten, werden sie mit Krebszellen verschmolzen. Von daher scheint es nur ein kleiner Schritt zur direkten Verwendung von genmanipulierten Krebszellen als Heilmittel. Dabei überschreitet die Gentechnik jedoch eine weitere Grenze: es werden nicht mehr nur die Produkte von manipulierten Organismen verbreitet, sondern die Therapie selbst ist eine Freisetzung von genmanipulierten Zellen. Außerdem kann diese Verfahrensweise als weiterer Schritt auf dem Weg zum genetisch konstruierten Menschen angesehen werden: Dem Patienten wird ein funktionierendes Gen implantiert. Im übrigen greift die von Thomae vorgebrachte Argumentation zur Verteidigung der Gentechnologie hier nicht: Bei der "Immuntherapie" werden nicht hochkomplizierte, nur gentechnisch herstellbare Stoffe dem Patienten zugeführt, sondern die gesamten Stoffwechselprodukte von genmanipulierten und zudem noch bestrahlten Krebszellen. Mir bleiben da erhebliche Zweifel an der Vorhersehbarkeit der Wirkungen einer solchen Verfahrens, und logischerweise auch an der Möglichkeit, dabei angemessene Sicherheitsmaßnahmen einzuhalten. Daneben bleibt trotz aller Sicherheitsmaßnahmen das Risiko, daß bei gentechnischen Experimenten ungewollt neue schädliche oder gar krankheitserregende Lebewesen erschaffen werden. Auch unter den bei Thomae Beschäftigten haben sich schon leise Zweifel breitgemacht. Während die "klassische" tPA- Produktion als gut beherrschte Routine angesehen wird, gibt mach einer hinter vorgehaltener Hand zu verstehen, daß ihm "das Neue mit den Viren" nicht ganz geheuer ist.