Über die Umstrukturierung von Thomae vom traditionellen
zum Gentech-Unternehmen. Zuerst erschienen in ÖkolinX 15, 1995.
Wie schon in Ökolinx 14 berichtet, hat die Firma Thomae in
Biberach seit 1986 eine Anlage in Betrieb, wo mittels gentechnisch veränderter Zellkulturen der Anti-Herzinfarkt-
Wirkstoff t-PA hergestellt wird. Dieses "Biotechnikum" ist
"die größte Produktionsanlage für Arzneimittel aus Zellkulturen
in Europa"(1). Das 1946 gegrndete Unternehmen
gehört zu Boehringer-Ingelheim und produziert auch konventionell hergestellte Arzneimittel wie Thomapyrin, Dulcolax
und Mucosolvan.
Seit Beginn der 90er Jahre wird der Boehringer-Ingelheim-Konzern massiv umstrukturiert. Über 40 Millionen DM wurden
von 1990 bis 93 an Unternehmensberatungsfirmen bezahlt.
1992 beschloß die Unternehmensleitung, die chemische Produktion von Biberach nach Ingelheim und Spanien zu verlagern. Als Ersatz sollte die Pharmazeutische Fertigung am
Standort Biberach weiter ausgebaut werden. Nach einer Entscheidung der Konzernspitze im Dezember 92 mussten die
insgesamt etwa 8000 ArbeiterInnen und Angestellten in Biberach und Ingelheim auf ihr Weihnachtsgeld, zusammen rund
50 Millionen DM, verzichten, "um den unternehmerischen
Handlungsspielraum zurckzugewinnen und die Arbeitsplätze
zu sichern."(2) 1993 und 1994 wurden bzw. werden bereits
insgesamt 224 Stellen abgebaut.(3) Im Dezember 93 schließlich
gibt die Unternehmensleitung bekannt, daß man auch
die pharmazeutische Fertigung von Biberach nach Reims und
Ingelheim verlagert will, was weitere 500 bis 1000 Arbeitsplätze kosten wird.
Auf der anderen Seite stiegen die durchschnittlichen Bezüge der Unternehmensleiter von 691 000 DM im Jahr 1990
auf 1 084 000 DM im Jahr 1992.(4)
Der Betriebsrat der Firma Thomae reagierte auf diese Entwicklung mit der Gründung eines Arbeitskreises "Rettet den
Standort Deutschland" und einigen Demonstrationen. Bei
einer dieser Demonstrationen auf dem Biberacher Marktplatz
am 27.1.94 sprach Dr. Johann von der Unternehmensleitung zur
versammelten Thomae-Belegschaft:
"Diese Entscheidung (die
Verlagerung der Pharmaproduktion von Biberach nach Ingelheim
und Frankreich) ist keine Entscheidung gegen den Standort
Deutschland. Die beiden Standorte Ingelheim und Biberach
werden gestärkt."
Biberach solle der High-Tech-Standort für
Biotechnologie sein, erklärte der Manager.(5)
Mit keinem Wort erwähnte er ein Projekt, das bereits am
19.11.93 in der Wirtschaftswoche veröffentlicht worden war:
das Medikament gegen Multiple Sklerose namens Betaseron, das
"von der Chiron Corp. im kalifornischen Emeryville mit Hilfe
von Bakterien gentechnisch hergestellt wird".
"In Europa beginnt dagegen erst jetzt die Probeproduktion,
bei der Daten für das Zulassungsverfahren gesammelt werden,
bei der Dr. Thomae GmbH in Biberach und der Wiener Bender
und Co. GmbH, beides Töchter des Pharmaproduzenten Boehringer Ingelheim International GmbH."
"Betaseron, das im
Auftrag der Schering AG Berlin/Bergkamen produziert wird,
wirkt bei etwa einem Drittel der MS-Patienten - bei denen,
die schubweise erkranken. Das sind jeweils rund 100 000 in
den USA und Europa. Sie werden zwar nicht geheilt, doch die
Abstände zwischen zwei Schüben...werden größer. Die Jahresdosis für einen Patienten kostet rund 10 000 Dollar."(6)
Thomae arbeitet an diesem Projekt seit 1992. Das Medikament soll in Europa "Beneseron" heißen und in Biberach
produziert werden, die Schering AG bernimmt den Vertrieb.
Laut Ralf Harenberg, dem Wirtschaftspressesprecher der
Schering AG, soll Boehringer Ingelheim 30 Prozent des
Umsatzes bekommen(7).
Der Ausbau der bei Thomae "Biotechnik" genannten Gentechnologie
beschränkt sich natürlich nicht auf die Produktion,
sondern beinhaltet auch die Erweiterung der Forschungskapazitäten. Bislang konzentrierte sich die Forschung und Ent-
wicklung auf die sogenannte BTV, BioTechnische Verfahren.
Das meint die Umsetzung von Laborforschung in industrielle
Produktion. Daneben existiert eine Abteilung namens Mutagenese, und es werden Versuche mit sogenannten Hybridzellen
durchgefhrt. Hybridzellen werden durch Verschmelzung von
Krebszellen mit Zellen des menschlichen Milz- oder Lymphgewebes hergestellt. Aufgrund ihrer Krebseigenschaft können
sie in Fermentern als wuchernder Brei einige Zeit am Leben
gehalten werden. Aus diesem Brei lassen sich zum Beispiel
monoklonale Antikörper gewinnen.
ThomaemitarbeiterInnen betonen demgegenüber, daß Thomae
keine Gentechnologie, sondern Biotechnik betreibe und begründen dies
damit, daß man die gentechnisch veränderten
Mikrooganismen nicht selber herstelle, sondern von der
Bender GmbH in Wien beziehe. Dem steht entgegen, daß Thomae
Patente im Bereich Gentechnologie angemeldet hat, die sich
ausdrücklich auf rekombinante CHO-Zellen, COS- und Hybridomazellen beziehen.
Laut Professor Rolf Werner, dem Leiter der Biotechnik bei
Thomae, liegt die Produktion in Biberach in der Sicherheitsstufe 1. Auch "das Betaseron-Projekt habe schließlich nur
Sicherheitstufe 1 und sei damit weder genehmigungs- noch informationspflichtig."(1) "Für die Forschung ist das anders.
Dort arbeiten wir zum Teil in der Sicherheitstufe 2."(8)
Die Ausbaupläne gehen allerdings weiter: "Wir bauen hier
die Biotechnik in Biberach in zwei Stufen aus, einmal ein
Anbau an das bestehende Biotechnikum, der beinhaltet ins-
besondere die proteinchemische Reinigung von Eiweißmolekülen, die für die Therapie eingesetzt werden, und ein
zweites Gebäude, das insbesondere für die Proteinanalytik
und für die Virologie genutzt werden soll, auch für die
Biotechnologie."(8)
Da bleibt nur zu hoffen, daß uns Zustände erspart bleiben, wie sie kürzlich in Großbritannien öffentlich wurden.
"WissenschaftlerInnen der Universität Birmingham versuchten
in einem von der Cancer Research Campaign unterstützten
Projekt, krebsverursachende, sogenannte Onkogene zu isolieren und in menschliche Zellen zu bertragen. Als Vehikel
benutzten sie den Schnupfenvirus (Adenovirus), den sie gentechnisch so manipulierten, daß er sich angeblich in den
Menschenzellen nicht mehr vermehren kann. Zwei Jahre lang
konnten die WissenschaftlerInnen mit ihrer gefährlichen
Mixtur "Krebsgen plus Schnupfenvirus" herumforschen, bevor
endlich zwei Inspektoren der britischen Aufsichtsbehörde
Health and Safety Executive (HSE) an die Labortür klopften.
Was sie dort sahen, veranlasste die Beamten zur sofortigen
Schließung des Labors. Sie stellten fest, daß unter den
vorgefundenen Laborbedingungen das Risiko einer Infektion
der Angestellten und eines Entweichens der Krebsviren in
die Umwelt bestand."(9)
Quellen:
1 Radio 7, 1.3.94 12:20
2 Thomae-Zeitung 1/2/1993, zitiert nach Flugblatt Nr.1
des Arbeitskreises "Rettet den Standort Deutschland" des
Thomaebetriebsrats
3 Flugblatt Nr.6 des Arbeitskreises "Rettet ..."
4 Flugblatt Nr.8 des Arbeitskreises "Rettet ..."
5 Flugblatt Nr.1 des Arbeitskreises "Rettet ..."
6 Wirtschaftswoche Nr.47/19.11.93 Seite 100
7 Wochenblatt Biberach, 19.3.94
8 Professor Rolf Werner im Interview mit Radio 7,Februar 94
9 GiD Heft 93, März 94, Seite 22
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