Ralph Heidenreich Schönfeldstraße 2 88400 Biberach Germany
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Sehr beschränkte Wahrheitsfindung

ein Drogenprozess vom Februar 1998
Wenn Heidi, Euer Gerichtsreporter, den Saal 13 im Biberacher Amtsgericht betritt, sind die Stühle für das Publikum meist leer. Mal sitzen in den Zuschauerreihen noch die Eltern oder die Freundin des Angeklagten (gut drei Viertel der Beschuldigten sind männlichen Geschlechts), selten noch ein paar Freunde und Bekannte. Bei der Verhandlung, von der diesmal die Schreibe sein soll, war außer mir nur die Freundin des Angeklagten dabei, umso erstaunlicher darum die erste Frage des Vorsitzenden Richters. "Warum ist das eigentlich eine öffentliche Verhandlung, müssen wir das so machen?" fragte er in die Runde und mußte sich vom Gerichtsschreiber belehren lassen, die Öffentlichkeit sei vorgeschrieben, da ein Teil der dem Angeklagten zur Last gelegten Vergehen stattgefunden habe, als jener schon volljährig war.
Von diesem Richter, Herrn Ehrmann, einem bärtigen und eher jüngeren Vertreter seines Standes, war in der WILD-Zeitung schon einmal die Rede gewesen, anläßlich einer ausgesprochen milden und verständnisvollen Beurteilung einer faschistischen Schlägerbande. Diesmal ging es vor dem Biberacher Jugendschöffengericht freilich nicht um Jungnazis sondern gegen einen Drogendealer, der, kaum 18jährig, an einen verdeckten Ermittler des Landeskriminalamts namens 'Micky' geraten war und diesem ein paar mal 50, dann 100 und schließlich 200 LSD-Trips verkauft hatte. Der verdeckte Ermittler hatte dann gleich 5000 Tickets bestellt, der Beschuldigte konnte so viele nicht mehr liefern und wurde verhaftet. In den anschließenden Verhören bei der Polizei gab der Angeklagte seine Vergehen zu und, nachdem er seinen eigenen Angaben zufolge von dem Kriminalbeamten Reisch mit Untersuchungshaft bedroht worden war, nannte er einen 'Hintermann'. Der war allerdings erlogen, ein entfernter Bekannter des Beschuldigten, von dem dieser, so sieht es mittlerweile auch Polizei und Staatsanwaltschaft, niemals Drogen bezogen hatte. Die Anklage stützte sich ausschließlich auf die Angaben des Beschuldigten, der Führungsoffizier des verdeckten Ermittlers war nicht einmal als Zeuge geladen.
In diesem konkreten Fall nun hatte der Angeklagte bei der Polizei gelogen, und auf dieser Lüge beruhte die Anklage. Freilich hatte er wohl mit Drogen gedealt, zumindest dem verdeckten Ermittler welche geliefert, aber das kam - aus Rücksicht auf die berühmten polizeitaktischen Ermittlungsansätze - nur am Rande zur Sprache. Der Staatsanwalt beschrieb die Vergehen des Angeklagten als 24fachen gewerbsmäßigen Drogenhandel mit jeweils 100 LSD-Trips und jedes zweite Mal zusätzlich 100 Ecstasy-Tabletten. Der Beschuldigte hatte bei der polizeilichen Verhören nämlich angegeben, ein halbes Jahr lang von einem seiner Bekannten wöchentlich rund 100 LSD-Trips gekauft zu haben, und etwa halb soviel Ecstasy. Während zweier Wochen habe der Lieferant nicht liefern können, also ein halbes Jahr = 26 Wochen - 2 Wochen macht 24 Wochen. Im Prozeß gegen seinen angeblichen Lieferanten zog er dann die Aussage zurück, der Mann konnte für diese 'Lieferungen' nicht verurteilt werden, und in der Zwischenzeit waren auch Polizei und Staatsanwaltschaft zu dem Ergebnis gelangt, daß der Drogenhandel so nicht stattgefunden hatte. Dem Beschuldigten brachte dies einen zweiten Anklagepunkt ein, nämlich wahlweise Falschaussage vor Gericht oder falsche Beschuldigung, entweder hatte er bei der Polizei gelogen oder als Zeuge vor Gericht.
Da das Gericht den einzigen Zeugen, der tatsächlich etwas über die größeren Deals des Angeklagten hätte sagen können, den verdeckten Ermittler 'Micky', nicht laden konnte, waren der Wahrheitsfindung sehr enge Grenzen gesetzt. Auch andere polizeiliche Ermittlungsmaßnahmen kamen nur beiläufig zur Sprache, wie die Telefonüberwachung gegen den Angeklagten. Oder gar nicht, wie die Videobeobachtung des Platzes vor dem Cafe Correct.
Als der Angeklagte sein anfängliches Schweigen gebrochen hatte, geriet der Prozeß so zu einer Art Mathe-Wettbewerb für Drittklässler, den der Staatsanwalt gewann. Die Aufgabe war, eine schlüssige Formel aufzustellen in der Art von Anzahl der Zusammentreffen mit dem nunmehr unbekannten Lieferanten multipliziert mit der durchschnittlich bezogenen Drogenmenge gleich Gesamtzahl der verhökerten LSD-Trips und größer gleich der Menge, die der verdeckte Ermittler erhalten hatte. Der Angeklagte verhedderte sich in Rechenfehler und Widersprüche und musste sich schließlich von 600 auf 1200 Trips hochrechnen lassen, immerhin die Hälfte der Menge, die er auch bei der Polizei angegeben hatte.
Ein besonderes Bonbon hatte dann noch ein Schöffe auf Lager. Der etwa 40jährige Mann hielt dem jugendlichen Beschuldigten eine bald zehnminütige Standpauke, er habe früher auch sehr gut verstanden, aber nun habe er Kinder und man könne doch diese Drogendealer nicht so herumlaufen lassen, im übrigen verstehe er schon daß der Angeklagte vor denen Angst habe, aber er solle sich mal überlegen, wovor er mehr Angst habe, vor den Dealern oder vor dem Gefängnis, und wenn er schon einsehe, daß dieser Drogenhandel schlecht sei, dann könne er sich doch auch auf die gute Seite schlagen und sich beim Kampf gegen den Drogenhandel mit einbringen und dann fiel ihm nichts mehr ein, offensichtlich. Der Vorsitzende Richter ergänzte: "Die Frage war also wer war der Lieferant". Diesmal blieb der Beschuldigte stumm.
In ihren Plädoyers sprachen sich sowohl der Staatsanwalt als auch der Verteidiger für eine Bewährungsstrafe aus. Immerhin hatte der junge Mann seit den Verhören drei sogenannte 'verdachtsunabhängige Kontrollen' über sich ergehen lassen müssen und war dabei jeweils drogenfrei gewesen. Der Verteidiger, der ansonsten in diesem Prozeß keinen sehr glücklichen Eindruck hinterließ, machte das Gericht noch darauf aufmerksam, daß alles, was dem Angeklagten vorgeworfen worden war, dieser selbst gebeichtet hatte. Vergebens.
Nachdem sich das Gericht eine gute halbe Stunde zur Urteilsfindung zurückgezogen hatte, verkündete der Vorsitzende Richter Ehrmann das Urteil: zwei Jahre ohne Bewährung. Zur Begründung führte er unter anderem aus, das Geständnis des Angeklagten und ebenso seine Abwendung von der Drogenszene seien nicht glaubwürdig, da er seinen Lieferanten nicht genannt habe. Ob der Verteidiger Rechtsmittel eingelegt hat, ist mir nicht bekannt.