In der letzten WILD-Zeitung hatten wir von zwei Prozessen vor dem Biberacher
Jugendgericht berichtet und den durchaus unterschiedlichen Stil hervorgehoben,
in dem Jugendrichter Ehrmann einen jungen Drögeler recht hart und zwei fast
noch junge Neonazis ziemlich milde beurteilt hat.
Mitte März, rund zwei
Wochen nach Erscheinen der WILD, führte Ehrmann wieder einen
Nazi-Prozeß. Angeklagt war ein 21jähriger Zivildienstleistender. Er
hatte, und das gab er auch zu, 1997 einen Vertrieb für Nazi-Propaganda
unterhalten, hauptsächlich CDs (Zillertaler Türkenjäger und so
Zeug) aber auch Hakenkreuzfahnen und Reichskriegskrempel. Der Angklagte
distanzierte sich pflichtgemäß von der 'rechten Scene', er habe sich
damals in diese Ecke geflüchtet, weil einer seiner Mitschüler von
"Ausländern" geschlagen worden sei. Die CDs, die "auf dem
Index stehen", habe er selber nicht gehört, sondern Musik von
"solchen Gruppen wie 'Rheinwacht', die zwar nicht verfassungsfreundlich
sind, aber auch nicht verfasssungsfeindlich." Auch sonst will er lieber ein
Feigling gewesen sein. Er habe sich nicht skinheadmäßig gekleidet,
denn "da musste ich Angst haben, daß mir in der Stadt einer eine aufs
Maul haut." Neben derlei Distanzierungen wurde ihm vom Gericht positiv
angerechnet, daß er Aussagen gemacht und Namen genannt hatte. Das Urteil
lautete schließlich auf 1500 DM, was in etwa einer Umsatzsteuernachzahlung
gleichkommt. Soweit also alles wie gehabt. Das Neue und ganz Unerwartete an
dieser Veranstaltung war, daß der Richter sich wohl zehn Minuten lang
deutlich und ausdrücklich vom Nazismus distanzierte. Er verlas eine
unzitierbare antisemitische Textstelle der 'Türkenjäger' und
äußerte dann tiefe Betroffenheit. Er habe sich noch nie mit solcher
Musik beschäftigen müssen, "aber diese Texte von der Musik, da
läufts mir kalt den Buckel runter, das ist ja grausam", sagte er und
daß er Angst habe, "daß solche Ansichten in Zukunft wieder
Einfluß auf die Politik nehmen könnten". Etwas sonderbar kam
das schon deshalb an, weil im Gegensatz zur klaren Rede des Richters der
Angeklagte mit einer ziemlich verdrucksten Erklärung sich 'distanzieren'
konnte. Warum hat Herr Ehrmann den Angeklagten nicht gefragt, wie er's denn mit
den Juden halte? Schließlich hatte der doch das antisemitische Zeug
verkauft. Und was meinet der Herr Richter mit der Bemerkung, solche Ansichten
könnten "wieder Einfluß auf die Politik nehmen" ? Daß
das derzeit geltende Asylrecht zentrale politische Forderungen der Republikaner
aus den 80er Jahren verwirklicht ? Oder spielt er auf die Zeit seiner Ausbildung
an, als noch ein Spruch des ehemaligen hitlerdeutschen Marinerichters und
späteren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Filbinger
galt. Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein, hatte der gesagt, und
damit zu rechtfertigen versucht, daß er noch nach Kriegsende einen
Deserteur zum Tode verurteilt hatte.
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