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Vom Zugriff auf die Jugend

24.05.2002
Die Jugend zu integrieren, aus jugendlichen "Wirrköpfen" "nützliche Glieder" zu formen, ist schon immer fürnehmste Aufgabe jeder Gesellschaft gewesen. Gegenüber der etablierten Erwachsenenwelt abweichende Strebungen unter den Jugendlichen sind dabei immer zugleich Motor gesellschaftlicher Entwicklung und notorisches Ärgernis, letzteres besonders als "Jugendkriminalität". Wie nun die Stadt Biberach mit dem Verein "Jugend Aktiv" sich auf diesem Felde engagiert, sei im folgenden berichtet.
Vor nunmehr 6 Jahren übertrug die Stadt Biberach die städtische Jugendarbeit dem eigens dafür gegründeten Verein Jugend Aktiv eV. Ausschlaggebend war damals das Scheitern des Versuchs, mittels eines städtischen Jugendpflegers die verschiedenen Jugendvereine in ein kommunales Konzept einzubinden.
Den eigenständigen Jugendvereinen BJV, Schlachtmetzig etc. war in den 80er Jahren die Luft ausgegangen. Die Waaghausstrassenrandale Ende August 1986 kann wohl als das letzte Aufbäumen der selbstverwalteten Zentren in Biberach verstanden werden. Ihrer Räume durch "Sanierung" und ihrer Handlungsfähigkeit durch wachsendes politisches Desinteresse einer konsumorientierten Generation beraubt, schieden sie dahin.
Der 1995 ins Leben gerufene Verein Jugend Aktiv war ein Geschöpf der Institutionen und ist es bis heute geblieben. Vertreter von Parteien, Banken, sozialen Einrichtungen und der Polizei teilten sich von Anfang an die Vorstandsposten. Anfangs ein, heute zwei Geschäftsführer koordinieren die Arbeit von zweieinhalb Sozialarbeiterstellen, ZDLs und Praktikanten. Mit dieser "Professionalisierung" erweiterte sich auch das Aufgabenfeld der Jugendarbeit. Zwar gab es auch in den selbstverwalteten JUZEs der 70er und 80er Jahre schon (bzw. noch) themenbezogene Aktivitäten, politische und auch z.B. Video-Arbeitsgruppen, der Schwerpunkt lag damals aber deutlich im Bereich der Freizeitgestaltung, bei billigem Bier und lauter Musik. Neben die Freizeitorganisation ist inzwischen vermehrt die eigentliche Sozialarbeit getreten in Gestalt von Elternberatung, Schulsozialarbeit, Mitarbeit bei der kommunalen Kriminalprävention und verschiedenen sozialen Trainingskursen.

Die Finanzen von Jugend Aktiv

Jugend Aktiv ist finanziell gesund. Der Geschäftsbericht weist zum Jahres- ende 2001 ein Umlaufvermögen von über 100.000 DM aus, knapp 80.000 davon auf einem Girokonto bei der Deutschen Bank.
Im Jahr 2001 wurde ein Überschuss von beinahe 50.000 DM erwirtschaftet, der städtische Zuschuss belief sich im gleichen Zeitraum auf gut 110.000 DM.

Der Rechnungsprüfer, der Buchfühung und Belegwesen des Vereins als "sehr ordentlich" lobte, kritisierte die geringe Verzinsung der angelegten Gelder, woraufhin die Deutsche Bank sich zur Erstattung der Kontoführungsgebühren bereit erklärte.
Die Verhandlungen sollten nicht allzu diffizil gewesen sein, schließlich ist Herr Paller nicht nur Kassierer bei Jugend Aktiv, sondern auch Chef bei der Biberacher Filiale der, nun ja, Deutschen Bank.

In der Gemeinderatsitzung vom 13.05.02 forderte Stadtrat Funk (FDP) vehement die Veröffentlichung einer Einnahmen-Ausgaben- Rechnung durch Jugend Aktiv, konnte sich aber vorderhand nicht durchsetzen.
Sein Antrag wurde vertagt.

Die rechte und die linke Hand des Staates
Auffälligster Unterschied zu älteren Formen der Jugendarbeit ist die enge Verzahnung mit Polizei und Justiz. Ein Vertreter der Polizeidirektion gehört als Beisitzer dem Vereinsvorstand an, und eine ganze Reihe von Aufgabenfeldern sind ausdrücklich auf enge Zusammenarbeit mit der Exekutive angelegt.
Galten Sozialarbeiter in den Jahren nach der Studentenrevolte noch als Systemüberwinder und verkappte Revoluzzer, so hat sich inzwischen ihre Rolle gründlich geändert. Sozialarbeiter sein heißt heute Realo sein, seinen gesellschaftlichen Ort dort anzusiedeln, wo er der Sache nach liegt: Sozialarbeit ist Arbeit in und mit den Instanzen Sozialer Kontrolle, darunter eben auch der Polizei.
Der Wandel der Auffassungen lässt sich am Beispiel der Drogenprävention zeigen, die von Anfang an zu den zentralen Aufgaben städtischer Jugend-Sozialarbeit zählte.
Der erste Jugendpfleger der Stadt Biberach erstellte 1982 im Auftrag des Gemeinderats einen "Bericht über die Entwicklung und den gegenwärtigen Stand der Drogenproblematik in Biberach". In diesem Bericht sind Stellungnahmen unterschiedlicher Gruppen und Institutionen, Schulen, Krankenhäuser, Beratungsstellen, Polizei und "Szene" zusammengestellt. Der 16 Seiten umfassende Beitrag des Rauschgiftdezernates spricht sich darin unter anderem für eine Erweiterung der Drogenprävention und schon damals dafür aus, "jugendliche Konsumenten leichter Drogen"..."nicht an die Polizei, sondern an die Drogenberatungsstelle zu verweisen." Von einer direkten Kooperation von Polizei und Sozialarbeit ist in dem Bericht nirgends die Rede, im Gegenteil.
Das PLK Bad Schussenried empfahl 1982 in seiner Stellungnahme unter anderem :
  • "Strikte und nach außen hin immer wieder dokumentierte Entkoppelung von Hilfsorganisationen und Polizei, um das offenbar verloren gegangene Vertrauen der Jugendlichen wiederzugewinnen."
Im Vorwort zum Jahresbericht 2001 von Jugend Aktiv findet sich dagegen folgender Passus:
  • "In einer bemerkenswerten Kooperation mit der Prävention der Polizeidirektion Biberach konnte über die Zukunftsoffensive 3 des Landes Baden-Württemberg eine Projektförderung erreicht werden, die nun gezielt der Sucht- und Gewaltprävention zur Verfügung gestellt werden soll."
  • ..."Im Jahr 2002 gilt es hier mit unseren Kooperationspartner die zeitliche, sachliche und personelle Organisation sicherzustellen,..."

öffentliche Beratung
Daß das Engagement auf dem Felde der Kriminalitätsbekämpfung ganz im Mittelpunkt der Tätigkeit von Jugend Aktiv steht, zeigte die Aussprache zum Jahresbericht Jugend Aktiv am 13.Mai 02 im Gemeinderat. Gemeinderäte verschiedener Fraktionen fanden das Thema so interessant, daß OB Fettback abwiegeln musste. "Also diese angedeuteten Fragen und auch das, was mit den Fragen der Polizeistatistik, Kriminalitätsbekämpfung, Drogenbereich zu tun hat, sind doch schon im Hauptausschuss besprochen."
In der Tat hatte der Jahresbericht zunächst dem Hauptausschuss in nicht öffentlicher Sitzung vorgelegen, bevor er im Gemeinderat besprochen wurde.
Wolf König, der Geschäftsführer von Jugend Aktiv zeigte sich trotzdem auskunftsfreudig.Auf die Arbeit der Streetworker angesprochen, meinte er, dies mache "Sinn, wo es eine offene, öffentliche Szene gibt. Hier findet aber vieles im Privaten statt, hinter verschlossenen Tren, wo wir auch nicht hinkommen. Wir haben etwa 30mal letztes Jahr aufsuchende, mobile Sozialarbeit gemacht, wo wir die Jugendlichen an den Plätzen aufsuchen, wo die sich aufhalten, abends. Da haben wir schon gefragt ja, was macht ihr denn so."
Ob Herr Reiter aus dem Erlenweg, der Beisitzer von der Polizei im Vorstand von Jugend Aktiv in dieser Richtung auch schon ein paar Fragen gestellt hat, weiß ich nicht, vermute es aber. In den - übrigens nicht öffentlichen - Vorstandssitzungen des Vereins hätte er jedenfalls Gelegenheit genug.

Jugend Aktiv wird offensichtlich einige Kompetenz attestiert. Der Verein leitet den "Arbeitskreis Jugend und Gewalt im Rahmen der kommunalen Kriminalprävention",und führt abgestimmt mit dem "AK Suchtprävention an den Schulen des staatlichen Schulamts" hauptsächlich an der Mali-Schule von der Mittagspausenaufsicht bis zur Einzelfallhilfe verschiedene Projekte durch. Im Jahresbericht beschreibt Herr König die dortige "Situation,Anforderungen

  • Hauptschule mit hohem Aussiedler- und Ausländeranteil und den daraus resultierenden Einzel- und Gruppenproblematiken
  • Schaffung einer Anlaufstelle für herumstreunende Schüler in der Mittagspause
  • Abhängen in der Freizeit, Gewalt- und Drogenproblematik"
Jugend Aktiv arbeitet freilich nicht nur mit der Polizei zusammen. Vom "AK Bürger für Bürger" und dem Stadtmarketing, dem Jugend- und Sozialamt und der Ausländerbehörde reicht die Palette bis zum Kinderschutzbund und der Erziehungsberatungsstelle der Caritas. Immer im Dienste des Guten, d.h. der Konformität, arbeitet der Verein an der Verwandlung "abweichender" Kiddies in nützliche Glieder. Die Einsicht, daß dabei Fremde und allgemein die Unterschicht mehr Beachtung finden müssen als etwa gymnasiale Mittelschichtsjugendliche, eint alle diese Institutionen. Für Oberschüler sind in erster Linie Kulturvereine zuständig.

Offene Fragen
Noch ist keineswegs klar, welche Strategie Jugend Aktiv verfolgt. Sollen mit der Konzentration auf soziale Bennpunkte gesellschaftliche Mißstände angegangen werden oder verkümmert öffentliche Jugendarbeit zu einer Art polizeilicher Vorfeldermittung?
Werden die Probleme von Jugendichen ernstgenommen oder nur Jugendliche, die Probleme bereiten?
Gibt es eventuell gar keine Strategie und man versucht mit dem Argument der inneren Sicherheit nur öffentliche Gelder abzugreifen? Wäre es dann möglich, daß Jugend Aktiv auch einmal für private Sponsoren tätig würde, etwa im Auftrag der Deutschen Bank?
Könnten interessierte Bürger das dann im Jahresbericht nachlesen?
Fragen über Fragen, die am St.-Nimmerleinstag, wenn die Archive geöffnet sein werden, und die Protokolle aller nichtöffentlichen Hauptausschuß- und Vereinsvorstands- Sitzungen der historischen Forschung zur Verfügung stehen, bestimmt schon lang beantwortet sind.