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Das Binswanger-Ackermann Theorem

updated 2010_03_16
"The process by which banks create money is so simple that the mind is repelled." (1)
 
Den simple Prozeß, deutsch als Geldschöpfung bezeichnet, erforschten in den späten 70ern des 20.Jahrhunderts Professor Hans Christoph Binswanger und sein Doktorand Josef Ackermann an der Universität St.Gallen in der Schweiz. Sie kamen zu erstaunlichen Ergebnissen.
Nicht nur, "dass die Geldschöpfung des Banksystems eine notwendige Bedingung für den Investitions- und Wachstumsprozess in der arbeitsteiligen Geldwirtschaft darstellt"(2), zusätzlich "steigt das volkswirtschaftliche Vermögen um die Menge der Kredite, die die Banken gewähren."(3)
Diese zwei eng mit einander verbundenen Thesen bezeichne ich hier als "Binswanger-Ackermann Theorem".

Geld ist nicht einheitlich.
Das Edelmetall der Münze unterscheidet sich vom Papier des Banknote wie diese von der reinen Zahlengröße des Bankkontos. Banknoten waren von Anfang an Zahlungsversprechen der Bank, sie waren dem Besitzer auf Verlangen in harter Münze auszuzahlen. Genauso besteht das Buchgeld auf dem Bankkonto aus dem Versprechen, dem Eigentümer des Kontos auf Verlangen entsprechend Papiergeld auszuhändigen.
Diese doppelte Virtualisierung der ursprünglichen Geldware macht die moderne Geldschöpfung möglich.

Mittel der Geldschöpfung ist die Gewährung von Kredit.
Eine Bank gibt einem Kunden einen Kredit. Der Kreditnehmer tätigt eine Zahlung und das Geld landet wieder auf einer Bank. Die vergibt einen nächsten Kredit, es folgt wieder eine Zahlung und so weiter. Jede Kreditgewährung vermehrt die Menge des Buchgeldes, jede Rückzahlung verringert sie.
Eine Einschränkung der Kreditvergabe ergibt sich dadurch, dass der Kreditnehmer sich seinen Kredit als Papiergeld, das nur die Zentralbank herstellt, auszahlen lassen kann. Die mittlerweile weitgehend fallengelassene Mindestreservepflicht hatte ebenfalls eine die Kreditvergabe einschränkende Wirkung.
 
Binswanger: "Der entscheidende Punkt ist aber: Die Zentralbank ist stets in der Lage, den Banken neues Zentralbankgeld zur Verfügung zu stellen, indem sie Kredite der Banken an die Nicht-Banken diskontiert, belehnt oder ankauft, so dass sich Banken stets aufgrund der Kredite, die sie selber schaffen, refinanzieren können. Das Zentralbankgeld - handele es sich um Banknoten oder Sichtguthaben der Banken bzw. des Staates - ist im Prinzip eine Schuld der Zentralbank. Sie musste ursprünglich von ihr in Gold eingelöst werden. Seitdem die Einlösungspflicht aufgehoben worden ist, ist diese Schuld aber nicht nur wie die Sichteinlagen bei den Geschäftsbanken zum größten Teil und de facto, sondern zu 100% und de jure 'ewig'. Zentralbankgeld ist heute definitives Geld. Aus diesem Grund kann die Zentralbank sich immer weiter 'verschulden' und so stets als 'lender of last resort' auftreten, wenn die Banken Zentralbankgeld benötigen."(4)
Außer bei der Zentralbank können sich Geschäftsbanken auch über den Geldmarkt und das "shadow banking system"(5) refinanzieren. Auch wenn dieser Markt unter der Finanzkrise 2007ff doch sehr gelitten hat, gilt die Einschätzung von Piti Disyatat: "More generally, all that is required for new loans is that banks are able to obtain extra funding in the market. There is no quantitative constraint as such."(6)
Die Fähigkeit des Bankensystems zur Geldschöpfung ist unbegrenzt.

Ist sie aber tatsächlich notwendig?
Binswanger beschreibt die Wirtschaft als "Spirallaufmodell", in dem sich "der Wirtschaftsprozess von Periode zu Periode ausweitet."
"Die Ausweitung erfolgt durch eine Erhöhung des Kapitaleinsatzes, d.h. durch Investitionen im Zusammenhang mit einer Erhöhung der Grösse und Anzahl der Unternehmungen, mit einer Erhöhung der Einkommen und Anzahl der Haushalte, sowie - das ist das Entscheidende - durch Erhöhung der Kredit- und Geldmenge im Zusammenhang mit einer Erweiterung des Bankensystems..."(7)
Die Zahlungen der Wirtschaftssubjekte Haushalte, Unternehmen und Staat gleichen sich untereinander aus.
"Der Geldstrom vergrößert sich jedoch durch die Kredit- und Geldschöpfung der Banken, die vor allem im Zusammenhang mit der Gewährung von Investitionskrediten entsteht."(8)
 
Hyman Minski beschreibt dies so: "The simple equation 'profits equal investment' is the fundamental relation for a macroeconomics that aims to determine the behavior through time of a capitalist economy with a sophisticated, complex financial structure. Furthermore, it is financed investment that forces the surplus."(9)
 
Die Geldschöpfung erzwingt den Profit.
Die Aussicht auf Profit verlockt zur Investition.
Die Investition erfordert den Kredit, also die Geldschöpfung. Ackermann hat Recht.

Um zu erklären, wie das volkswirtschaftliche Vermögen durch Kreditgewährung anwächst, betrachtet Binswanger zunächst die Bilanzierung eines Kredits durch eine Bank. Dem Kredit, der eine Forderung der Bank ist, steht ein frisch geschöpftes Buchgeld in Form eines Sichtguthabens gegenüber, welches eine Zahlungsverpflichtung der Bank darstellt. Zins beiseite gleichen sie sich aus. Ebenso beim Kreditnehmer. In der Summe scheint der Vermögenszuwachs gleich Null zu sein.
"Dies", so Binswanger, "entspricht aber nicht der Wirklichkeit der heutigen Geldordnung, da die Sichteinlagen der Kreditnehmer bzw. die Banknoten - wenn man das gesamte Bankensystem, also Banken und Zentralbanken zusammen, betrachtet - nicht mehr eingelöst werden können. da die Sichteinlagen bzw. die Banknoten zu Geld geworden sind, besteht aber auch kein Bedürfnis, sie einzulösen. Dies bedeutet, dass sich gesamtwirtschaftlich Forderungen und Schulden nicht ausgleichen.Wohl stehen dem Zuwachs der Geldmenge in Form der Sichteinlagen und der Banknoten Schulden der Kreditnehmer gegenüber, so dass sich ihre Vermögensbilanz ausgleicht. aber die Schulden des Bankensystems als ganzes sind, weil sie nicht (mehr) eingelöst werden müssen, mit Null zu bewerten. Somit steigt das volkwirtschaftliche Vermögen um die Menge der Kredite, die die Banken gewähren!"(10)

Der stetige Fluss neuer Kredite, die beständige Aufnahme neuer Schulden ist so gesehen nicht nur der wichtigste Antrieb zum Wachstum der kapitalistischen Wirtschaft, sondern auch die Quelle der Vermögen in der modernen Geldwirtschaft.
Politische Aufforderungen zum Sparen sind in diesem Licht ganz unsinnig, sofern nicht die akute Zahlungsunfähigkeit der Verschuldeten befürchtet wird.
Wir leben in interessanten Zeiten.

1 John K. Galbraith, Money: Whence it came, where it went, 1975, S.29
dtsch: "Der Prozess, mit dem Banken Geld schöpfen, ist so einfach, dass sich der Verstand dagegen wehrt."

2 Josef Ackermann: Der Einfluss des Geldes auf das reale Wirtschaftsgeschehen - eine theoretische Analyse. Bern 1977.
zitert nach "Ackermanns Einsichten zur Geldschöpfung" FAZ 02.02.2009
http://www.faz.net/s/Rub2E8C985607B44756884B7A1383CD205C/Doc~E06504BC058334155B83CC31AF69DC16A~ATpl~Ecommon~Scontent.html

3 Hans Christoph Binswanger: Die Wachstumsspirale, Marburg 2006 S.119

4 Hans Christoph Binswanger: Die Wachstumsspirale, Marburg 2006 S.118f

5 vgl. Gary B. Gorton: Slapped by the Invisible Hand, Oxford 2010

6 Piti Disyatat: The bank lending channel revisited, BIS Working Papers No 297, Basel 2010 S. 8

7 Hans Christoph Binswanger: Die Wachstumsspirale, Marburg 2006 S.305

8 Hans Christoph Binswanger: Die Wachstumsspirale, Marburg 2006 S.306

9 Hyman P. Minski: Stabilising an unstable economy, 2008, 1st Ed. 1986, S.161

10 Hans Christoph Binswanger: Die Wachstumsspirale, Marburg 2006 S.119,
auch Hans Christoph Binswanger: Eigentum und Eigentumspolitik, Zürich 1978