Ralph Heidenreich Schönfeldstraße 2 88400 Biberach Germany
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Biberachia

Texte zur Ökonomie :
berlin 2008 :

2010-04-05

Vom Verschwinden des Tariflohns

Kürzlich kam ich in die Lage, den vom ehemaligen Bundeskanzler Schröder hochgelobten Niedriglohnsektor(1) vor Ort erkunden zu dürfen.
In den letzten Jahren hatte ich jeweils über die warme Jahreszeit beim hiesigen Vermessungsamt als Fahrer und Messgehilfe gearbeitet. Eine erneute saisonale Beschäftigung, wie sie auch von der Leitung des Vermessungsamtes gewünscht worden war, lehnte das übergeordnete Landratsamt dieses Jahr völlig überraschend ab. Da das Vermessungsamt laut Vermessungsgesetz(2) sowieso nicht mehr vermessen solle, käme eine Einstellung des Saisonarbeiters Heidenreich nicht in Betracht hies es.

Ich machte mich also auf die Suche nach Jobs bei "öffentlich bestellten Vermessungingenieuren", die ja laut Gesetz die Vermessungen nun zu übernehmen hätten. Das Resultat waren lauter Absagen, einer zeigte sich wenigstens gesprächsbereit und meinte, tageweise auf Abruf könnte schon was gehen, auf 400-Euro-Basis. Das war mir dann doch zu wenig, aber wohin ich auch ging, reguläre Jobs für gewöhnliche Arbeiter schien es nicht mehr zu geben. Ich besprach die Lage mit Kleinunternehmern aus meinem Bekanntenkreis. Hilfsarbeiter auf Tariflohn könne keiner mehr bezahlen, alle müssten jetzt flexibel arbeiten, war die einhellige Meinung. Im Klartext: Hartz 4 plus ein 400-Euro-Job.

Aus Unternehmersicht ist das eine klare Rechnung: ein Vollzeit beschäftigter Arbeiter mit einem Bruttolohn von 10 Euro kostet den Unternehmer mit allem gut 2000 Euro im Monat und arbeitet dafür 160 Stunden. Der Arbeiter bekommt netto etwa 1100 Euro, hat also einen Netto-Stundenlohn von ca. 7 Euro.
Ein auf 400-Euro-Job halbtags beschäftigter Arbeiter mit 5 Euro Stundenlohn arbeitet 80 Stunden im Monat und kostet den Unternehmer mit allem rund 500 Euro im Monat.
Bekommt der Mann Hartz 4, so muss er von den 400, die er im Job erhält, rund 250 wieder abgeben. Er hat aber - falls das Hartz-Amt ihm nichts abzieht - rund 350 plus Miete, sagen wir mal 550 Euro Hartz-Geld. Das macht insgesamt 700 Euro. Sein Netto-Stundenlohn liegt bei ca. 9 Euro. So geht mehr Netto vom Brutto praktisch.
Und, so hies es im Vertrauen, wer gut schafft, bekommt schon mal etwas obendrauf.

In meinem Fall geht die Rechnung leider nicht so schön auf. Zum einen habe ich (eher selten, aber doch) zusätzliche Einkünfte durch Lesungen oder Vorträge, die das Hartz-Amt zu 90% konfiszieren würde. Zum andern, und das wiegt schwerer, konnte ich bislang die 350 Euro, die das Jugendamt von mir verlangt, bezahlen und ich wünsche mir dies weiterhin zu können.

Wo ein Unternehmer anfängt, mit staatlich subventionierten (Schwarz-)Arbeitern zu arbeiten, zwingt er seine Konkurrenz es ihm nachzutun. So verschwindet ein Job nach dem andern im schwarzen Loch des Niedriglohns und keiner kommt zurück. Wer als Arbeiter "leistungswillig" ist muss sich mit bar bezahlten Überstunden zufrieden geben, womit er nebenbei zum "Sozialbetrüger" und somit erpressbar wird. Sehr unschön das Ganze.

Mir ist es dann aber doch noch gelungen - mit viel bitte-bitte und über Bekannte - einen altmodischen Tarifjob zu ergattern. Auf vier Monate befristet.

(1) Schröder auf dem Weltwirtschaftsforum 2005 in Davos :
 
nach Redetext S.3 Quelle http://www.gewerkschaft-von-unten.de/Rede_Davos.pdf :
"Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt. Ich rate allen, die sich damit beschäftigen, sich mit den Gegebenheiten auseinander zu setzen..."
 
Video (english translation) Quelle http://www.youtube.com/watch?v=k6ElcwqoOqM :
"a very well functioning good low wage sector" min 21,17
"making shure, that they do accept any form of acceptable job offer that is given to them" min 22,13

(2) Vermessungsgesetz Ba-Wü
Quelle http://dejure.org/gesetze/VermG_
 
$9 Abs.4 :"Die Vermessungsbehörden wirken auf eine Erhöhung des Anteils der privaten Dienstleistungen bei der Vermessung hin..."
$11 Abs.1 : "Die oberste Vermessungsbehörde bestellt zur Durchführung von Liegenschaftsvermessungen in Bezirken unterer Vermessungsbehörden freiberuflich tätige Vermessungsingenieure ..."